Rund um Weihnachten mit dem Motorrad unterwegs

Kaum war ich aus meinem Auto ausgestiegen, da war ich auch schon nass. Der Regen wehte mir ins Gesicht. Das machte mir noch schlechtere Laune.
Regen im Dezember - kurz vor Weihnachten wollte ich noch eine unangenehme Sache abschließen und dann in die Sonne fliegen.
"Na, jedenfalls pünktlich sind sie", dachte ich, als ich einen alten zerbeulten und rostigen Ford Transit vor dem Haus meines Vaters stehen sah.

Das Fenster auf der Beifahrerseite war ein kleines Stück heruntergekurbelt und dichte Rauchschwaden quollen heraus.
Mit einem nach Öl schreienden Quietschen wurden die beiden Türen des Transits aufgerissen. Zwei Männer stiegen aus und warfen ihre Kippen auf die Straße. Es zischte - die Kippen waren verloschen, bevor die Männer sie gewohnheitsmäßig austreten konnten.
"Es kann losgehen", sagte ich, ohne die Männer großartig zu begrüßen. Wir wandten uns dem kleinen Haus zu.
Ich zog ein Schlüsselbund aus meiner Manteltasche und schloss das Gartentor auf. Das Schloss klemmte ein wenig. Es war längere Zeit nicht benutzt worden.
Wir gingen durch den Garten. Die beiden Männer folgten mir schweigend.
Die Nachbarhäuser waren mit allerlei Weihnachtsschmuck ausstaffiert; in vielen Fenstern brannten Lichterbögen.
Wir erreichten die Haustüre des kleinen Hauses. Ich schloss auf und ging voraus. Es war kalt, unbeheizt und roch etwas moderig.
"Es ist doch klar", sagte ich zu den Männern, "alles geht raus. Besenrein ist besenrein!"

Der ältere der Beiden, ein Riese von fast zwei Metern, fragte mich "soll wirklich alles raus, von den Sachen wollen Sie nichts mehr haben?"

Ich überlegte kurz. Einige Male war ich schon hier gewesen, seit mein Vater in eine kleine Wohnung gezogen war. Die wenigen Dinge, die ich haben wollte, hatte ich schon längst mitgenommen.
"Wir gehen lieber noch einmal alles durch, bevor Sie uns die Schlüssel geben", sagte der Riese zögerlich.
Na gut, auf die paar Minuten kam es nun auch nicht mehr an.
Wir gingen durch die Räume, blieben hier und da stehen. Sehr begeistert sahen die Entrümpler nicht aus. Antiquitäten waren hier nicht vorhanden. Sehr schnell hatten wir das ganze Haus vom Keller bis zum Dachboden inspiziert. Ich fand nichts mehr, was ich brauchen konnte.

"Und die Garage?" fragte der zweite Entrümpler, der bisher außer einem knappen "Moin" noch nichts gesagt hatte.
Ja, die Garage wird wohl leer sein. Trotzdem wollte ich mich davon überzeugen. Wir gingen hinaus und standen vor dem Garagentor. Mist, den Garagenschlüssel hatte ich nicht dabei.
Aber es gab noch einen Zugang von hinten durch den Garten. Die kleine Tür war meistens nicht verschlossen.
Das nasse Gras patschte unter unseren Füßen. Endlich erreichten wir die kleine Tür und waren froh, dass sie nicht verschlossen war. Inzwischen regnete es noch stärker.
Die Leuchtstoffröhre flackerte erst ein wenig, dann zeigte ihr heller Schein, dass die Garage nicht ganz leer war. Die Werkbank war zwar aufgeräumt, aber die halb herausstehenden Schubladen zeigten, dass sich noch eine Menge Werkzeuge hier befanden.

"Die Garage lassen Sie bitte so wie sie ist", sagte ich zu den beiden Männern, "im Haus ist alles klar, Sie können anfangen. Morgen bis 18 Uhr ist alles raus, dann kommen Sie zu mir ins Büro und bringen mir die Schlüssel - und bekommen das vereinbarte Geld."

Die Männer machten auf einmal ein entschlossenes Gesicht. Der eine holte sein Handy aus der Innentasche und beorderte einen zweiten Wagen herbei. Dann gingen die Männer in das Haus.
Ich blieb noch ein wenig in der Garage stehen. Hier war ich lange nicht gewesen. Mit meinem Vater hatte ich mich in den letzten Jahren nicht besonders gut verstanden.
Trotzdem fühlte ich mich in der Garage noch seltsam berührt, es roch ein wenig nach Benzin.
Ich erinnerte mich an frühe Bastelerfahrungen, an mein erstes Moped, ein Zündapp Mokick.

Vielleicht stand der alte Rasenmäher noch in der Ecke?
Tatsächlich war dort etwas mit einer Militärplane abgedeckt, aber für einen Rasenmäher war es zu groß. Erst zaghaft - schließlich wollte ich mir nicht die Fingernägel abbrechen - dann fester zog ich an der Plane, aber sie war zu schwer. So musste ich sie anheben und nach hinten zurückschlagen.
Da stand - nein, kein Rasenmäher, sondern eine alte BMW. MEINE alte BMW, eine 250er
R 26. Dass mein Vater die aufgehoben hatte!

Sie sah noch aus wie vor vielen Jahren, als meine Eltern und ich noch auf Sylt wohnten und ich damit auf der Insel herumgeknattert war. Der Zündschlüssel, es war ja eigentlich mehr ein Zündnagel, steckte. Wie war es noch einmal? Ganz hineinstecken, dann müssten die Kontroll-Lampen für Leerlauf und Lichtmaschine angehen. Es tat sich aber nichts. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich das defekte Originalschloss gegen ein Trecker-Zündschloss ausgewechselt hatte.

Das wusste ich noch genau: die Batterie befand sich in einem Seitenfach unter der Sitzbank. Um an das Batteriefach heranzukommen musste ich einen Schraubendreher holen. Schnell war die Halteschraube entfernt. Aber große Enttäuschung: das Batteriefach war leer.
Man müsste die Maschine doch auch mit einer Autobatterie starten können?
Ob noch Benzin im Tank war? Nein - der Tank war knochentrocken. Aber der Kanister mit dem Rasenmäherbenzin war noch da. Ob ich es versuchen sollte? Schnell schraubte ich die Tülle auf den Plastikkanister und goss das Benzin in den Motorradtank, in dem es gluckernd verschwand. Nun die Batterie aus dem Auto geholt. Nein - halt! Das Auto hat ein 12 Volt Stromnetz - die BMW doch nur eine 6 Volt Lichtmaschine! Und nun? Eine 6 Volt Batterie musste her. Das dürfte so kurz vor Weihnachten wohl nicht so einfach sein. Auch waren 6 Volt Batterien nicht mehr so recht in Mode.
Das Handy piepte. "Ja, ich komme". Natürlich hatte ich den Termin nicht vergessen.
Trotzdem ging ich noch einmal kurz ins Haus und sagte den Arbeitern, dass sie aus dem Haus alles mitnehmen konnten, in der Garage aber alles bleiben sollte.
Dann saß ich auch schon im Auto und war unterwegs zur Firma.
Meinen Termin handelte ich routiniert und leidenschaftslos ab. Immer wieder musste ich an das Motorrad und an die alten Zeiten denken.
"Ich bedanke mich für den Auftrag und wünsche Ihnen frohe Feiertage. Gleich am 2. Januar fangen wir an" - hörte ich mich sagen. Kurzes Händeschütteln, dann war der Kunde auch schon wieder draußen. Ich freute mich, gleich im neuen Jahr schon wieder einen Anschlussauftrag zu haben.

Es war schon dunkel, aber erst kurz nach vier. Ich blätterte im Telefonbuch. Wie hieß der örtliche Motorradfritze noch einmal? Richtig: M ... Mangelsen, Hokawazuki Vertretung. Ich wählte die Nummer. Es dauerte lange, bis sich jemand meldete. "Eine 6 Volt Batterie? Machen Sie Witze?" Nein, bestellen könnte man auch keine 6 Volt Batterie für ein Motorrad. "Schließlich sind wir Hokawazuki-Händler".

Auf mein Entgegenhalten, dass es sicherlich auch Hokawazuki Motorräder mit 6 Volt Lichtanlagen gibt, wurde schon nicht mehr geantwortet.
Das Batterieproblem ließ mir keine Ruhe. Es klopfte. "Ich gehe dann" - die Reinigungskraft wartete auf mein OK. "Ja, tschüß und schönen Feierabend". Sie ging. Alle anderen waren auch schon fort. Eigentlich hatte ich auch nichts mehr zu tun. ... höchstens noch die Taxiquittungen sortieren.

Also ab nach Hause.
Am Bahnhof kurz gehalten. Am Kiosk gibt's doch immer so viele Zeitschriften. Wie hieß die eine doch noch, in denen ich früher immer die Testberichte von Klacks verschlungen hatte? Motorrad - ob es die noch gab? Natürlich gab es die noch. Etwas teurer geworden, aber immerhin. "Morgen kommt erst die neue", sagte die Verkäuferin. "Ist schon gut", entgegnete ich und bezahlte, "die ist mir schon ganz recht".

Schnell erreichte ich meine Wohnung. Endlich Feierabend! Ich warf die Kaffeemaschine an und ließ mich in den Sessel fallen. Ich überflog die Artikel in der Motorradzeitschrift - und war enttäuscht. Alles so modern - wie von einem anderen Stern. Umdrehungszahlen bis
14 000, PS ohne Ende.

Nun fiel mir ein, warum ich die Zeitschrift gekauft hatte: wegen der Anzeigen. Tatsächlich gab es im hinteren Teil der Zeitschrift einen riesigen Anzeigenmarkt. Und hier fand ich, was ich suchte: "Batterien für fast alle Motorräder". Ob die noch arbeiten?
Ich wählte die Nummer und war überrascht, als schon nach dem zweiten Klingeln der Hörer abgenommen wurde. Natürlich waren auch 6 Volt Batterien vorrätig. Ich erkundigte mich nach Versandmöglichkeiten. Dann sah ich, dass das Geschäft gar nicht so weit entfernt war.

"Haben Sie morgen noch geöffnet?" fragte ich. "Ja, aber nur bis 15 Uhr im Winter", sagte der Mann. Ich bedankte mich, wünschte noch einen schönen Abend und legte auf.
Das sind nur 60 Kilometer, das kann ich eigentlich gut mit dem Termin morgen verbinden, dachte ich mir. Ich wollte auch nur bis mittags arbeiten. ..
Der Termin am nächsten Morgen war schnell abgehandelt. Dann machte ich mich auf den Weg, um die Batterie zu kaufen. Es war ein kleines Geschäft, aber es machte einen aufgeräumten und professionellen Eindruck. "Ich mache Ihnen die Batterie gleich fertig", sagte der Mann, "dann kann der Junior mit seinem Weihnachtsgeschenk gleich starten".
"Die Batterie ist für mich selbst", sagte ich und erzählte nach und nach die ganze Geschichte.
"Und was ist mit TÜV?" fragte der Mann. "Weiß ich nicht, muss man sehen," antwortete ich.
Dann war die Batterie fertig.
Da ich keine weiteren festen Termine hatte, fuhr ich noch einmal im Haus meines Vaters vorbei.
Die Entrümpler waren noch am Arbeiten, aber ein kurzer Blick ins Haus zeigte, dass sie schon weit gekommen waren.
Aber das wollte ich nicht kontrollieren. Deshalb ging ich sehr zügig in die Garage. Ich stellte die Batterie in das Batteriefach der Maschine und friemelte die Kabel an die Pole. Schon früher hatte ich mich oft darüber geärgert: das eine Kabel schien immer kurz zu sein - aber irgendwie ging es dann doch.

Nun steckte ich den Zündschlüssel ganz in das Zündschloss. Tatsächlich gingen die beiden Kontrolllampen an, eine zeigte den Leerlauf, die andere war die Ladekontrolle.
Wie war es noch einmal? Benzinhahn auf, Vergaser fluten mit dem kleinen Pinn auf dem Schwimmergehäuse. Ein paar Tropfen Benzin tropften auf das Motorgehäuse.

Den Kickstarter ausgeklappt, kurz etwas heruntergetreten, bis ich den Widerstand des verdichteten Gemisches spürte, dann den Starter wieder nach oben schnellen lassen, dann ein beherzter Tritt - und - nichts tat sich.
Also noch einmal, diesmal mit etwas mehr Schwung. Immer noch nichts.
Noch einmal. Immer noch nichts. Aus dem Bordwerkzeug, das sich in einem kleinen Fach oben auf dem Tank befand, entnahm ich den Zündkerzenschlüssel und schraubte die Kerze heraus. Sie war feucht und nicht besonders sauber.
Mit einem Lappen, den ich auf der Werkbank fand, säuberte ich die Kerze und trocknete sie.
Ich prüfte sie im Licht und war noch nicht ganz zufrieden. In einer Halterung an der Werkbank befanden sich etliche Drahtbürsten, sogar eine mit feinem Kupferdraht war dabei. Mit der setze ich mein Putzen fort. Dann schraubte ich sie mit der Hand in den Zylinderkopf, ohne sie dem Kerzenschlüssel ganz festzuziehen.

Dann noch ein Startversuch. Mit Kraft trat ich den Kickstarter gegen den Verdichtungswiderstand. Und - ja, sie wollte fast anspringen. Also noch einmal. Ich stellte mich so an die Maschine, dass ich den Gasdrehgriff fassen konnte. Und beim nächsten Startversuch spielte ich ein wenig mit der Gasstellung. Tatsächlich sprang die Maschine an, erst zögernd und schnaufend, dann immer bereitwilliger. In der ihr gewohnten Art vibrierte die Maschine so stark, dass das Werkzeug im Fach im Tank sich anhörte, als würde man eine Blechdose mit Schrauben oder Nägeln schütteln. Richtig: hier fehlte der Lappen, den ich immer zur Geräuschdämpfung mit in das Fach steckte. An der schlechten Luft in der Garage merkte ich, dass es bei aller Begeisterung höchste Zeit war, für Lüftung zu sorgen. Ich entsperrte das Schloss und öffnete von innen das Garagentor.

Ich drehte am Zündschlüssel: Standlicht - Fahrlicht - alles funktionierte. Auch eine kurze Kontrolle der hinteren Leuchten ergaben keinen offensichtlichen Mangel: Bremslicht und Rücklicht in Ordnung.

Ich wuchtete die Maschine vom Ständer. Sie war ganz schön schwer. Schon lange hatte ich kein Motorrad mehr gehalten. Ob ich eine kleine Runde drehen sollte? Nur die Straße einmal rauf und runter? Natürlich war die Maschine nicht mehr zugelassen und hatte keinen TÜV mehr. Ein Nummernschild hatte sie zwar noch, aber es fehlten die entscheidenden Stempel.
Trotzdem: ein Versuch würde nichts schaden.
Rückwärts schob ich die Maschine aus der Garage. Auf dem Vorplatz drehte ich sie um. Wie war es noch einmal? Erster Gang...
Ich trat den Schalthebel zögerlich nach unten, nachdem ich den Kupplungshebel gezogen hatte.
Krachend rastete der erste Gang ein. Etwas Gas geben, Kupplung kommen lassen und - putt putt putt. War wohl doch etwas zu wenig Gas. Also neu starten. Diesmal sprang die Maschine sofort an.
Etwas mehr Gas gegeben beim Anfahren - und schon ging es los. Ein paar Häuser weiter war eine kleine Autowerkstatt. "TÜVABNAHME im Hause" las ich im Vorbeifahren.

Ich wendete und fuhr das kleine Stück zurück. Vor der Werkstatt hielt ich und machte den Motor aus. In der kleinen Halle war noch jemand am Arbeiten. So wuchtete ich die Maschine auf den Ständer und ging hinein. "Morgen ist nochmal TÜV", sagte der Meister "und dann erst wieder im neuen Jahr. Lassen Sie mich das gute Stück mal ansehen!"
Der Mechaniker wischte sich die Hände ab und ging mit vor die Tür.
"Mit den Reifen werden Sie kein Glück mehr haben", sagte er nach einem kurzen Blick auf die rissig gewordenen Pneus. Dann fasst er hier an, bewegte dort etwas, zog am Bremshebel, prüfte auch die Fußbremse und schaltete das Licht durch. "Besorgen Sie neue Reifen - und einen alten Gürtel", sagte er, "dann kann das mit dem TÜV etwas werden".

"Einen alten Gürtel?" Ich dachte, er wollte mich verkohlen. "Ja, der ist für die Sitzbank. Für den Sozius ist eine Haltevorrichtung vorgeschrieben!" Der Mann kannte sich aus.
Wo sollte ich nun die Reifen herbekommen? Mir fiel die kleine Motorradwerkstatt ein, in der ich die Batterie gekauft hatte. Den Kassenbeleg hatte ich noch in der Brieftasche.

3.25-18 las ich vom Hinterreifen ab.
Ich wählte die Nummer des Motorradladens. Der Besitzer erkannte mich gleich an der Stimme. "Ja, zwei passende Reifen habe ich noch", sagte er, "hat einer nicht abgeholt, der sie schon vor längerer Zeit bestellt hatte". Glück gehabt. "Wie lange sind Sie noch da?"

"Ich mache gleich Feierabend, wohne aber im Haus. Wenn Sie kommen und laut klopfen, mache ich Ihnen auf und sie können die Reifen bekommen".
Das Motorrad ließ ich gleich in der Werkstatt stehen. Der Meister wollte auf mich und die Reifen warten. Also schnell zum Auto. Vorher noch einmal schnell nach den Entrümplern gesehen. Die hatten noch zu tun, also sprach nichts dagegen, schnell die Reifen zu holen.

Ich kam zügig durch und es klappte gut mit den Reifen. Sie waren nicht einmal besonders teuer. Naja, ich bekam diesmal auch keine Quittung, aber schnell war ich wieder im Auto und auf dem Rückweg.
In der kleinen Autowerkstatt war noch Licht. Der Meister hatte Wort gehalten und auf mich gewartet. Die Maschine stand schon in der Halle. "Ist gar nicht so schlimm", sagte der Meister, "die Maschine ist wohl gut gepflegt worden. Dann mal her mit den Reifen".

"Ach ja, der war in dem kleinen Fach unter der Sitzbank", er reichte mir den KFZ-Brief, natürlich lange abgelaufen. Nur 3 Besitzer waren eingetragen. Ich war der letzte. Die Abmeldung war fast 30 Jahre her.
Ich fragte den Werkstattmann, was die Tüv-Vorbereitung kosten würde. Trotz der fälligen Vollabnahme fand ich den Preis, den er nannte, akzeptabel. "Kommen Sie morgen gegen 11", sagte er, "dann ist der TÜV hier. ...und vergessen Sie ja den Gürtel nicht".

Ich verabschiedete mich und fuhr ins Geschäft. Es dauerte nicht lange, dann kamen die Entrümpler und brachten mir den Schlüssel. Sie bekamen das verabredete Geld und zogen zufrieden vom Hof.
Ich erledigte noch einigen Schreibkram, dann machte ich Feierabend. Zu Hause suchte ich zuerst einen alten Gürtel. Ich wählte einen alten Ledergürtel, der "eingelaufen" war, jedenfalls passte er mir schon seit ein paar Jahren nicht mehr.

Als ich in meinem Sessel bei einem Glas Wein den Feierabend genoss, schweiften meine Gedanken in die Vergangenheit. Ich dachte an die alten Zeiten auf Sylt, mein erstes Motorrad, meine Freunde, mit denen ich über die Insel fuhr.
Irgendwo mussten doch noch ein paar der alten Fotos sein? Ich fand sie. Pfingsten 1975 - Motorradtour. Wer waren die langhaarigen Hippies auf dem Foto?

Pfingstausflug in den 70er Jahren

Nach und nach fiel mir das wieder ein.
Einige von ihnen lebten immer noch auf der Insel. Die müsste ich mal wieder besuchen!
Die würden Augen machen, wenn ich mit dem Motorrad komme.
Aber wer fährt schon im Winter Motorrad - und dann noch so eine weite Strecke?
Eigentlich wollte ich ja auch lieber in die Sonne fliegen. ... aber andererseits...
Vielleicht würde ich auf der Insel noch ein Zimmer bekommen?
Fast spaßeshalber suchte ich im Internet nach einer Zimmervermittlung. Ob ich mal anrufe?
Es ist bestimmt keiner mehr im Büro.
Ein Anruf überzeugte mich vom Gegenteil. Ich kam mit der netten Dame ins Gespräch und schon hörte ich mich sagen: "ist gut, ich nehme das Zimmer für eine Woche. Ich komme am 24. Dezember".
Ich erhielt die Adresse und die Dame versprach, die Buchungsbestätigung per Email zu schicken.
Was sollte ich mitten im Winter auf Sylt? Und mit dem alten Motorrad konnte ich schon gar nicht so weit fahren...
Aber wie wäre es mit einer Kombi-Fahrt? Meine Firma hatte immer zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen. Der Firmenwagen, ein alter Kastenwagen wurde nicht gebraucht.
Mit dem würde ich das Motorrad ohne Anstrengung bis in den hohen Norden schaffen können. Und dann den Lastwagen auf dem Festland stehen lassen und mit dem Motorrad mit Fähre oder Zug auf die Insel. Und das Gepäck? Das konnte ich vorher mit dem Paketdienst auf die Insel schicken.
So packte ich ein größeres Paket mit meinen Sachen, um es am nächsten Tag per Express auf die Insel zu schicken. Wie gut, dass ich die Adresse meiner Vermieter schon hatte.
Ich rief sie kurz an und bat sie, das Paket für mich in Empfang zu nehmen.

Die Nacht war unruhig. Ich träumte vom Motorradfahren. Mir begegneten meine alten Freunde. Dann geriet ich mit der BMW in eine Polizeikontrolle. Der Polizist bemängelte, dass ich keinen Helm trug und keine angemessene Motorradbekleidung. Ein Schlafanzug wäre für ein Motorrad dieser Größenordnung wohl kaum eine geeignete Schutzkleidung. Auch sei der TÜV seit 29 Jahren abgelaufen. "Das wird teuer", brummelte er, "außerdem muss ich bei so einem eklatanten Verstoß die Polizeisirene einschalten." Die Sirene machte einen Höllenlärm, so dass viele Menschen aus den Häusern strömten und bald im Halbkreis um mich und meine Maschine herumstanden. "TÜV TÜV TÜV" riefen sie immer und immer wieder.

Dann wachte ich schweißgebadet auf. Das Rufen hatte ein Ende; die Sirene noch nicht. Es war mein Wecker gewesen, der mir das Ende der Nacht verkünden wollte.
Nach einem kurzen Frühstück war ich schnell in der Firma. Es waren nur noch einige Aufräumarbeiten zu erledigen. Meine Mitarbeiter hatten schon frei. Ich führte noch einige Telefonate.
Da fiele mir ein, dass ich das Motorrad ja noch bei der Zulassungsstelle anmelden musste.
Also dort angerufen. "Ja, bis 13 Uhr habe wir heute auf. Vergessen Sie nicht die Versicherungs-Doppelkarte, den Brief, die Abmeldebestätigung, und den aktuellen Tüvbericht". Im Hintergrund "Oh Du Fröhliche".

War das alles bis 13 Uhr zu schaffen?
Die Versicherungskarte war kein Problem. Der Vertreter hatte ganz in der Nähe sein Büro und wollte mir die Karte sofort vorbeibringen. Es dauerte auch nicht lange, bis er mit der Karte in der Hand vor mir stand. Er hatte sogar an eine zweite Karte gedacht: "Falls Du dich verschreibst."
Langsam war es Zeit, in die Werkstatt zu fahren. Der Tüvmann schrieb schon seinen Bericht. Alles soweit in Ordnung. "Den Schweinwerferreflektor sollten Sie im Auge behalten", gab er mir noch mit auf den Weg. Dann gab er mir die Bescheinigung: ohne erkennbare Mängel.

Ich bezahlte die Gebühren und auch den Mechaniker. Ich konnte nicht meckern. Er hatte gut und günstig gearbeitet, sogar noch einen Ölwechsel gemacht. Unter Aufsicht des Tüvmitarbeiters musste ich noch den alten Gürtel als Halteriemen für den Sozius an der Sitzbank befestigen.
Die Zeit war nun doch verflogen. Kurz vor 12. Ob ich es noch rechtzeitig zur Zulassungsstelle schaffen konnte? Probieren geht über Studieren. Das Motorrad ließ ich in der Werkstatt stehen, um es später abzuholen.
Als ich die Zulassungsstelle erreichte, war es schon halb eins. Ich war der einzige Kunde. Da die Leute wohl gleich Feierabend machen wollten, wurde ich schnell abgefertigt. "Wollen Sie ein Wunschkennzeichen?" Eigentlich nicht, aber es sollte nicht so groß sein. "Also doch ein Wunschkennzeichen!" Die Mitarbeiterin schrieb mir den Zettel für den Schildermacher und empfahl mir, mich zu beeilen. Vorher klärte sie mich noch über die Extragebühr für das Wunschkennzeichen auf. Im Laufschritt ging ich hinüber zum Schildermacher. Auch hier war ich der einzige Kunde. Es ist doch erstaunlich, wie schnell so ein Schild fertig ist.

Wenige Minuten vor eins war ich wieder bei der Sachbearbeiterin - die mir mein Nummernschild abnahm. "Gehen Sie an die Kasse und bezahlen Sie, dort bekommen Sie das Schild und die Papiere. Fröhliche Weihnachten!"

"Ja, frohe Weihnachten und guten Rutsch" entgegnete ich. Wenige Minuten später stand ich an der Kasse und bezahlte. Stolz prangten die beiden Plaketten auf dem neuen Schild.

Als ich das Haus verließ, hörte ich, dass jemand hinter mir abschloss. Ich war wirklich der letzte Kunde.
Auf dem Weg zur Werkstatt kam ich an einem Laden für Motorradbekleidung vorbei - wohl mehr ein Supermarkt als ein Fachgeschäft. Sollte ich da mal reinschauen und mir selbst etwas zu Weihnachten schenken? Einen Helm, Handschuhe und eine Jacke brauchte ich auf jeden Fall. Eine lederne Hose wäre auch nicht schlecht.
Im Laden dudelte Weihnachtsmusik. Eine gelangweilte Verkäuferin blickte kaum auf, als ich den Laden betrat. So hatte ich Zeit, mir alles in Ruhe anzusehen. Ich probierte einige Helme, Jacken und Hosen, bis ich dann die gewählten Sachen in den Einkaufswagen legte. Halt, fast die Handschuhe vergessen. Selbst beim Kassieren blickte die Verkäuferin kaum auf.
"Frohe Weihnachten", wünschte ich. "Du mich auch!" antwortete sie missmutig und kaugummikauend.
Für die paar Sachen kam in hübsches Sümmchen zusammen.

Nun war es Zeit, die Maschine aus der Werkstatt zu holen. Wie gut, dass das Paket mit meinen Sachen schon unterwegs auf die Insel war.
Ich brachte das Auto nach Hause und ging zu Fuß zur Werkstatt, die nicht besonders weit entfernt war. Ich kam mir etwas albern vor in den Motorradklamotten. Dazu trug ich meine Winterstiefel. Ich ging etwas steifbeinig. Hätte ich die Hose vielleicht doch eine Nummer weiter wählen sollen? Egal, wird sich schon einlaufen.
Mit meinem Nummernschild stand ich vor der Werkstatt. Der Mechaniker hatte mich schon gesehen und öffnete mir die Tür. "Ich helfen Ihnen eben mit der Nummernschildbefestigung" sagte er, hielt das Schild an die Maschine, zeichnete kurz an und verschwand dann in die hintere Ecke der Werkstatt, wo eine große Standbohrmaschine stand. Wenige Augenblicke später stand er wieder vor mir mit dem Schild und Schrauben und Muttern. "Das müsste passen". Es passte.

Ich bedankte mich und setzte den Helm auf. Einige beherzte Tritte auf den Starter - und die Maschine lief. Erst einmal eine kleine Runde drehen, also ab zur Tanke. Schön, dass es trocken war. Wie kalt doch trotzdem zwei Grad plus sein können!
Ich tankte voll. Dann fuhr ich mit dem Motorrad in die Firma. Es war Zeit, den Firmenwagen zu holen. Ich ging nach oben und holte mir Schlüssel und Papiere.
Unser Hausmeister hatte Wort gehalten und mir ein stabiles Brett neben die Wagen gelegt, so dass ich eine geeignete Rampe hatte, dass Motorrad in den Laderaum zu schieben.
Ich bockte es auf und sicherte den Stand mit einigen Haltegurten. Zuletzt schob ich das Brett ganz hinein und verschloss den Laderaum.
Ich war gerüstet.
Noch nicht ganz. Einige Vorbereitungen musste ich noch treffen.
Ich packte einen Rucksack mit notwenigen Sachen, die ich brauchen würde, wenn mein Paket nicht rechtzeitig kommen würde.
Früh ging ich schlafen, wollte ich doch am nächsten Morgen sehr früh aufbrechen.

Nach dem Frühstück ging es gleich los. Der Tank war voll und nach einer kurzen Phase des Kaltstartnagelns ging der Motor des Kastenwagens in beruhigendes Brummen über. Ich hing meinen Gedanken nach.

Eine kleine Aufmunterung konnte ich brauchen. Etwas Musik?
Im Radio gab's im Moment nur Weihnachtsmusik, danach stand mir im Moment nicht der Sinn. Aber ich hatte mir einige CDs mitgenommen. Auf dem Beifahrersitz stand mein Radio mit CDspieler, das eigentlich in meine Küche gehörte, aber manchmal für unterwegs zweckentfremdet wurde.
"In der Festhalle in Frankfurt - Ten Years After", das war schon eher nach meinem Geschmack. Ich drehte gleich etwas lauter.
"Going Home" - das Konzert stürmte dem Finale zu.
Going-Home wie passend.
Nur noch wenige Kilometer bis Flensburg. Dann ging es auch schon über die Grenze nach Dänemark. Ich musste mich beeilen, um die letzte Fähre nach Sylt noch zu erreichen.
- aber nicht zu sehr. Die Dänen achten streng darauf, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten wird.
Ich kam gut voran. Als ich Röm erreichte, hatte die ich doch ein merkwürdiges Gefühl.
Heimat und doch keine Heimat.
Ein Blick über die Hafenmauer zeigte, dass ich noch Zeit genug hatte. Die Fähre war noch recht weit entfernt, hatte wohl Verspätung.
So konnte ich mich anziehen und das Motorrad aus dem Lieferwagen holen.
Ich schnallte den Rucksack auf den Rücken. Ich verschloss das Auto und schob das Motorrad hinüber zur Warteschlange. Die Fähre legte an. Nur wenige Autos verließen den Bauch des Schiffes.
Die Warteschlange löste sich auf: ein Motor nach dem nächsten wurde gestartet und die Autofahrer fuhren über die Brücke in die Fähre hinein. Ich machte mir nicht die Mühe, extra den Motor zu starten, sondern schob das Motorrad in die Fähre hinein und stellte es sicher ab.
Steile Stufen führten hinauf in den Gastraum. Ich nutzte die Möglichkeit, eine Kleinigkeit zu essen.
Die Zeit verging wie im Fluge. Bald hatte wir Sylt erreicht. Die Fahrzeugführer wurden aufgefordert, ihre Fahrzeuge aufzusuchen.

List auf Sylt: die alte Anlegebrücke der Fähre

Ich folgte den anderen.
Als die Fähre fertig angelegt hatte, wurde das Tor geöffnet und die ersten Autos konnten das Schiff verlassen. Ich stand ganz hinten und hatte Zeit, mich anzuziehen und das Motorrad zu starten. Die Autofahrt hatte der Maschine nicht geschadet. Beim dritten Tritt sprang sie an. Vorsichtig fuhr ich über die schmierige Brücke und war froh, draußen auf der Straße zu sein.

Auf geht's! Wie war das noch einmal? Nach Links - und dann Richtung Westerland.
Zuerst wollte ich mein Quartier aufsuchen. Es war nicht schwer zu finden. Ein nettes Zimmer erwartete mich. Mein Paket war auch schon angekommen.
Im Zimmer befand sich allerlei Material über die Insel, so auch ein Plan über Veranstaltungen, den ich mit Interesse betrachtete. Vielleicht fand ich ein schönes Konzert?
Was wollte ich eigentlich auf der Insel? War der ganze Plan nicht eine Schnapsidee?
Gottesdienst in Keitum - 14 Uhr 30, 16 Uhr, 17 Uhr 30, 23 Uhr - konnte ich lesen.
Meine Gedanken schweiften ab - flogen in die Vergangenheit, ließen mich die Weihnachten meiner Kindheit und Jugend fühlen.
16 Uhr, das konnte ich schaffen. Also wieder angezogen und das Motorrad gestartet. Es war nicht weit. Obwohl nicht einmal Frost war, kam es mir sehr kalt vor. Nun musste die Kurve an der Sandkuhle kommen - ja tatsächlich, es hatte sich nicht viel geändert. Recht vorsichtig ging ich in die Kurve. Früher lag hier immer viel Sand.
Noch ein kurzes Stück, dann ging es nach Munkmarsch hinunter. Hier hatte ich damals gewohnt. In der Ferne konnte ich die Keitumer Bucht und die Kirche sehen. Ich fuhr durch das Dorf. Ob ich wohl noch jemanden kennen würde? Von den Häusern erkannte ich fast keines mehr. Viele nachgemachte Friesenhäuser waren hinzugekommen.
Oben eine fast rechtwinklige Kurve, dann lag der Ort auch schon hinter mir. Ich gab etwas mehr Gas; der Motor dröhnte und schüttelte sich.
Das war sie schon - die Keitumer Kirche. Natürlich standen keine weiteren Motorräder auf dem Parkplatz.
Die Kirche war voll. Viele Familien mit Kindern, festlich gekleidet saßen auf den harten Kirchenbänken. Ich fiel wohl etwas aus dem Rahmen mit meiner Lederjacke. So oft ich in die Runde blickte, konnte ich jedoch keinen erkennen, den ich von früher kannte. Auch mich schien keiner zu erkennen.
Der Gottesdienst war festlich und gut ausgestaltet. Ein Chor sang. Alles sehr beeindruckend. Mir fehlte aber ein wenig das Gefühl; alles war fast perfekt.
Nicht wie früher - mit unserem alten Pastor.
Der Gottesdienst zog sich in die Länge. Die Kinder wurden unruhig.
Dann folgte endlich das Orgelnachspiel. Alle gingen hinaus.
Was sollte ich nun machen? Wieder in mein Ferienquartier fahren? Irgendwo etwas essen?

Oder?...
Nicht weit von hier müsste eigentlich ein Kumpel aus alten Zeiten wohnen. Ob es ihn noch gab? Wie mochte er heute wohnen? Früher hatte wir uns oft gesehen, waren mit unseren Maschinen über die Insel gefahren, hatten Musik gehört und so manchen Spaß gehabt.
Naja, aber heute ist Heiligabend, kann man an solch einem Tag einfach jemanden überfallen?
Warum eigentlich nicht, ich sollte es einfach versuchen.
Es dauerte nicht lange, da stand ich vor dem Haus. Es schien sich nicht großartig verändert zu haben. Drinnen war Licht. Ich stellte das Motorrad ab und klingelte. Immer noch das alte verblichene Schild mit dem Namen.
Drinnen hörte ich schlurfende Schritte. Dann öffnete ein Mann, so ungefähr in meinem Alter, die Tür und musterte mich von oben bis unten.
Überraschender Weise spielte sich danach ab, was ich schon viele viele Male vorher erlebt hatte - allerdings gut 30 Jahre zuvor.
Er (wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es hörte sich barsch und abweisend an): "Moin, was willst Du denn!"

Ich: "Moin, ich dachte, wir reden ein wenig, danach können wir ja noch etwas über die Insel fahren..."
Er: "Na gut, dann komm mal mit hoch!"
Ich folgte ihm und wir gingen wie vor vielen Jahren nach oben in sein Zimmer. Er wohnte immer noch in seinem Elternhaus.
Oben angekommen zauberte er von irgendwoher zwei Bierflaschen her. Wir stießen an und dann sprudelte es auch schon aus uns heraus. Wir erzählten und erzählten. Nebenbei machten wir Oelwechsel. (Bier auf Dänisch = Øl).
Mein Einwand, dass ich eigentlich nicht in mein Ferienquartier laufen wollte bügelt er ab mit einem kurzen "kannst hier pennen, ich habe noch ein weiteres Zimmer nebenan!"

Dann verschwand er kurz, brachte noch ein paar Bier und etwas zu essen mit. Er guckte etwas verschmitzt, aber das konnte auch am Bier liegen.
Eine halbe Stunde später klingelte es an der Tür. "Wer das wohl noch sein wird", brabbelte er unwirsch und stieg die Treppe hinab. Unten hörte ich laute Stimmen und dann war auch schon ein großes Gepolter: die ganze Runde von früher hatte sich in einen alten VW-Bus geschmissen und war gekommen. Die mussten sich in Windeseile zusammentelefoniert haben.
Nun ging es rund. 30 Jahre hatten wir uns in dieser Zusammensetzung nicht gesehen. Klar, dass wir alte Geschichten aufwärmten und neue erzählten. Trotzdem war wohl die am meisten verwendete Redewendung "...weißt Du noch?"

Tom meinte auf einmal, dass er noch keine richtige Weihnachtsstimmung hätte. "Dem können wir abhelfen", rief Eddi und holte aus dem Nebenzimmer eine Gitarre. Er stimmte sie schnell und oberflächlich nach Gehör, dann schlug er ein paar Akkorde an. "Stimmt!" meinte er zufrieden. "Liedwünsche?"

Ein paar zaghafte Wünsche huschten durch den Raum. Eddi begann zu spielen - und er hatte nichts verlernt. Wie früher flogen seine Finger über die Saiten - er konnte es einfach. Immer mehr Wünsche wurden geäußert. Nach jedem Bier wurde unser Mitsingen kräftiger. Jeder traute sich nun.

So blieben wir die halbe Nacht zusammen und hatten Spaß. Zu später Stunde wurde noch ein altes Tonbandgerät hervorgeholt. Eddi hatte damals recht viele Sendungen der Piratensender aufgenommen.

Für den nächsten Tag verabredeten wir eine Ausfahrt, eine "Weihnachten nach List zum Fischbrötchenessentour".

Nur 3 Leute hatten noch eine Maschine. Allerdings fuhren sie nicht mehr die alten Dinger wie früher, sondern ein modernes japanisches Gerät. Ihnen fielen allerdings fast die Augen raus, als sie meine Maschine sahen. "Du hattest doch schon mal so eine alte BMW?" fragte Tom.

"Ja," sagte ich, "es ist sogar genau die selbe".
Wie früher knatterten wir über die Insel. Diejenigen, die kein Motorrad mehr hatten, folgten mit dem VW Bus.

Wir hatten den ganzen Tag Spaß.
Ich blieb noch ein paar Tage auf der Insel und hatte schöne Stunden, bereute aber nicht, damals weggezogen zu sein.
Nach einer Woche räumte ich mein Zimmer und setzte wieder mit der Fähre über. Es begann zu schneien. So war ich froh, als ich das Motorrad wieder gut im Lieferwagen verstauen konnte und nach Hause fuhr.
Weil im Radio wieder nichts Gescheites lief, steckte ich wieder meine CD in den Player.
"Going Home" - irgendwie stimmte es in dieser Richtung mehr.
Ich kam gut durch, war am frühen Nachmittag wieder zuhause. Eine Menge Post hatte meine Nachbarin für mich aufgehoben.

"Guten Rutsch!" wünschte ich ihr. "Wir können auch zusammen rutschen," entgegnete sie, "bei mir ist heute eine Fete - und Du bist herzlich eingeladen".

Klar, dass ich hingegangen bin.
Bald hatte mich der Alltag wieder. Aber der hatte sich verändert. Durch die alte BMW bin ich wieder zum Motorradfahren gekommen. Bald darauf habe ich mir dann eine weitere etwas neuere Maschine gekauft.


Honda CBX 650e

Ich habe seitdem schon viele schöne Touren unternommen. Einige führten mich dann auch wieder auf meine Heimatinsel - allerdings nicht wieder als Kombitour mit Lieferwagen und BMW, sondern auf eigenen Rädern.

Klar, dass wir dann auch wieder einige schöne Inseltouren gefahren sind.

Alle Geschichten:© Anne-Mette Gerdsen
Keine unerlaubte Verwertung!