Sitten und Gebräuche (SchluckundGluck) oder die Reparatur der Gummikuh

Wie beim Segeln, nach der Jagd und bei vielen weiteren Beschäftigungen gibt es sicherlich auch bei Motorradfahrern den Brauch, vor einer Ausfahrt dem Gott der motorradfahrenden Zunft Tribut zu zollen.
Manche machen das, indem sie in stillem Gedenken drei Mal um die Maschine laufen und einige Beschwörungsformeln murmeln, andere haben sicherlich ein anderes Rezept.
Einige, die ihren Horizont durch Sportarten wie Segeln erweitern konnten, versuchen sogar, Sitten und Gebräuche auf das Thema Motorrad zu übertragen.
Manchmal sind da natürlich auch die anderen Schuld...

Heinz hatte sich noch mit 60 Jahren ein Motorrad gekauft. Im Krieg war er mal eine Zündapp mit Beiwagen gefahren. Nun, wo er auf Rente war und für seinen Lebensabend etwas Geld gespart hatte, kaufte er sich eine alte aber noch sehr schön erhaltene BMW, eine Gummikuh mit Vollschwingenfahrwerk.
Zuerst fiel es ihm nicht so leicht, damit zu fahren, schließlich kannte er das Motorradfahren nur mit Beiwagen, aber im Laufe der Wochen gewöhnte er sich doch daran. Bald flitzte er schon ganz gut um die Ecken und hielt sich auch ein wenig an die anderen Motorradfahrer, die ihm den einen oder anderen Tipp gaben.
Es waren natürlich auch nicht ganz ernst gemeinte Ratschläge darunter, aber weil er ein gutgläubiger Mensch war, schenkte er selbst den Hinweisen Beachtung, die man eigentlich leicht als Scherz entlarven konnte, wenn man ein wenig nachdachte.

Eines Tages war er jedoch unglücklich. Es muss wohl im späten Oktober gewesen sein und schon recht kalt. Viele von uns hatten die Maschinen abgemeldet und ließen diese in einer trockenen Garage oder in einem warmen Keller überwintern. Manche Motorräder wurden auch zerlegt, um um- oder neu aufgebaut zu werden. Weil wir nicht mehr soviel auf den Straßen unterwegs waren, hatten wir natürlich etwas mehr Zeit für andere Beschäftigungen. Und wenn einer mal einen Rat brauchte, dann halfen wir natürlich mit Wort und Tat.
So kam auch Heinz mit seinem kleinen Problem. Seine Gummikuh wollte nicht mehr anspringen. Wir ließen uns erst einmal erzählen, was er schon alles probiert hatte. Mit seiner Auskunft waren wir zufrieden: Batterie ok, Sprit genug im Tank und auch sonst nichts auffälliges.
Da wir das Problem mündlich und durch gute Ratschläge nicht lösen konnten, gingen wir zu ihm rüber, um uns die Maschine selbst anzusehen. Da stand sie in der aufgeräumten und sauberen Garage. Zündschlüssel rein - die Kontrollleuchten brannten hell und klar. Licht ging auch. Die Batterie schien in Ordnung zu sein. Dann den Kickstarter mehrmals und kräftig getreten, aber nichts tat sich, nur ein leises Ansauggeräusch war zu hören. Wir wollten die Maschine nicht zum Absaufen bringen, deshalb hörten wir erst einmal mit den Startversuchen auf. Also weiter mit der Zündung, erst einmal prüfen, ob Kerzen funken. Die eine Kerze war schon ein wenig nass. Ihr sah man an, dass sie schon einige vergebliche Startversuche hinter sich hatte. Die andere Kerze sah nicht besser aus. Auch rochen die Kerzen etwas merkwürdig und fühlten sich klebrig an...
Also neue Kerzen geholt. Die waren zwar recht teuer an der Tankstelle gegenüber, aber immerhin sofort verfügbar. Die probierten wir dann gleich aus. Kerzenstecker rauf, Kerzenmasse auf den Zylinder gelegt, den Starter kräftig getreten und ? - wunderbare Zündfunken auf beiden Seiten! Problem erkannt - Problem gebannt! Kerzen wieder reingeschraubt, erst einmal handwarm angezogen. Dann wieder mit Schwung den Starter getreten. Der Motor versuchte noch nicht einmal zu laufen, hustete nur, dann war Stille. Heinz erzählte, dass er das nun schon oft so erlebt hatte. Die Kerzen hatte er jedesmal rausgeschraubt, geputzt und trocknen lassen - bis zum nächsten Versuch.
Die Zündung schien in Ordnung. An was konnte es denn sonst noch liegen? VERGASER - natürlich! Das würde nun doch ein längerer Reparaturabend werden.

BMWMotor
Benzinhahn zu. Benzinschläuche abgezogen, den alten Bingvergaser abgeschraubt. Dann zuerst das Benzin rauslaufen lassen. Benzin??? Nach Benzin sah das nicht gerade aus, das da in die leere und saubere Konservendose lief. Es roch auch nicht so richtig nach Benzin - nein, wenn es nicht so abwegig gewesen wäre, hätte ich gesagt, es würde etwas nach Likör riechen...
Dann habe ich die Vergaser gereinigt. Das wurde nun wirklich ein langer Abend!
Alle Düsen raus, alles mit Kaltreiniger gereinigt und zwar mehrmals. Immer wieder die dünnen Kanäle durchgeblasen. Irgendwie klebten die Teile, die ich aus dem Vergaser schraubte und auf ein altes Handtuch legte. "Was hast Du denn getankt", fragte ich Heinz so ganz nebenbei. Heinz stand neben mir und sah interessiert zu. Viel konnte er zu den Reparaturversuchen nicht beitragen, denn das war nicht seine Welt, als ehemaliger Kunst- und Musiklehrer war er mehr ein Mann des Geistes. "Ach, ganz normal", sagte Heinz, "Normal habe ich getankt."
Und nach einem Zögern: "naja und dann immer mal nen SchluckundGluck".
"Einen SchluckundGluck???" fragte ich entgeistert, "was für einen SchluckundGluck???".
"Naja, was alle Motorradfahrer machen," sagte Heinz, "vor jeder größeren Tour einen kleinen Schluck Schnaps in den Tank - für eine gute und unfallfreie Fahrt!"
Da fiel ich fast lang hin, wie konnte man nur auf eine so blöde Idee kommen?
"Und was hast Du in den Tank gekippt?", fragte ich. "Ach, erst immer Doppelkorn, wie mir Fritz das gesagt hat." Fritz? Na. Der war bekannt für seinen etwas schrägen Humor...
"Naja, aber dann war der Korn alle, dann habe ich den Likör genommen, den ich letztes Jahr zu Weihnachten bekommen habe. Der hat mir aber nicht geschmeckt und ich hielt es für eine gute Idee, ihn loszuwerden."
"Aber der Gummikuh soll das schmecken," neckte ich ihn.
Nun war ja wirklich klar, wie das Problem zu lösen war: beide Vergaser ganz sauber machen,
Tank leeren und reinigen, Benzinschläuche reinigen - und alles wieder montieren.
Das war an diesem Tag nicht mehr zu schaffen. Wie gut, dass der nächste Tag ein Samstag war.
Den Tank konnten wir ganz gut drüber an der Tankstelle entleeren und durchspülen. Der Tankmann konnte uns ruhig einmal einen Gefallen tun. Was wir bei dem schon alles gekauft hatten! Die Benzinschläuche habe ich gleich neu gemacht. Schwierig war es, den Benzinhahn wieder richtig zu verschrauben.
Am Nachmittag waren wir endlich fertig. Wir schütteten 5 Liter Benzin aus einem Kanister in den Tank. Kaum gestartet, tuckerte die Maschine bald ruhig vor sich hin.

Dabei blieb es auch, denn Schnaps hat sie nicht mehr bekommen, und erst recht keinen Likör. Heinz hatte natürlich seinen Spitznamen weg: SchluckundGluck.

Alle Geschichten:© Anne-Mette Gerdsen 2014-2020
Keine unerlaubte Verwertung!

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